16.000 Kilometer ist Australien von uns entfernt, und doch zog es im letzten Jahr 154.800 Deutsche auf den Fünften Kontinent. Die meisten werden dort ihren Urlaub verbracht haben. Gar nicht wenige junge Leute nutzen das Angebot, um im Programm „work & travel“ Land und Leute kennenzulernen. Nur einige paar Menschen aber werden die Tage „Down under“ zur Vorbereitung einer Auswanderung dort verbracht haben. Doch deren spannende Geschichte und die ihrer Vor-Vor-Vor-Vor-Vor-Vorgänger erzählt das Deutsche Auswandererhaus (DAH) in Bremerhaven in einer bemerkenswerten Sonderausstellung. Die habe ich mir letzten Freitag mal genauer angeschaut.
Es zwitschert voluminös, eine metallische klingende Stimme ist zu hören, irgendwo pfeift melodisch ein Vogel – die Sonderausstellung ist fürs Ohr ein Genuss. Auch das Auge bekommt viel Angenehmes: in einer Videoinstallation aus fünf Bildschirmen werden beeindruckende Bilder unter anderem des Reiselandes Australien gezeigt und die Wände der beiden Sonderausstellungsräumen sind in schönen, warmen, zumeist rötlichen und gelben Farben gehalten. Doch die dort aufgedruckten Aussagen wie „Gebt uns Arbeit oder schickt uns zurück“, „Nazism not wanted here“, „In Australien war für die Mutter alles Arbeit“ machen deutlich: es war nicht alles eitel Sonnenschein im Auswanderungsland Australien.
Vor genau 225 Jahren fing es schon schwierig an, als 1788 die ersten europäischen Kolonisten den Fünften Kontinent erreichten: ungewohnte Hitze quälte sie, tödliche Krankheiten brechen aus, es gibt nicht genug zu essen. Und mit den Aborigines verstehen sich die Siedler auch nicht wirklich. Bis 1952 ein australisches Anwerbeabkommen deutsche (Fach-)Arbeitskräfte ins Land bittet, bleibt die deutsche Auswanderungsgeschichte dorthin ziemlich dynamisch. 1974 wird diese öffentliche Werbung für deutsche Arbeitskräfte wieder gestoppt. Zig-Tausende sind dem Ruf ihres Sehnsuchtszieles gefolgt und haben versucht, sich dort ein neues Leben aufzubauen. Mehr als 900.000 der über 22 Millionen Australier gaben im Jahr 2011 an, deutsche Wurzeln zu besitzen. Doch so mancher Auswanderer ist mittlerweile wieder in die alte Heimat zurückgekehrt.
Die Stärke des Auswanderungshauses – historische Geschehnisse und Zusammenhänge durch das Erzählen realer Lebensgeschichten plausibel und verständlich zu machen – gelingt auch in dieser Sonderausstellung sehr gut. Skurriles – so baut ausgerechnet der deutschstämmige Zimmermann Manfred Neumann der englischen Queen ein Holztreppchen, damit sie bei ihrem Besuch 1963 in ihrer Kolonie königlich grazil aus ihrem Auto aussteigen kann – steht neben schockierendem: Hat die deutsche Amalie Dietrich, Deutschlands bedeutendste Australien- und Naturforscherin (1821 – 1891), tatsächlich Aborigines töten lassen, um deren Skelette, Haut und Schädel in einer Ausstellung zu zeigen? Die Sonderausstellung beschönigt nichts, sondern widmet sich in zehn Kapiteln umfangreich der facettenreichen Geschichte deutscher Auswanderung nach Australien. Audiotexte, Landkarten, Rekonstruktionen und viele, viele Fotos illustrieren die letzten 225 Jahre sehr nachdrücklich.
Um Kängurus kommt natürlich auch das Auswandererhaus nicht herum: Im Vorfeld der Sonderausstellung wurden 650 Besucher des Hauses befragt, woran sie hauptsächlich bei Australien denken. Mit großer Mehrheit wurde das Beuteltier genannt. Strand – der vermeintliche Sehnsuchtsort von Urlaubern – rangierte auf dem letzten Platz.
Die Sonderausstellung ist noch bis zum 2. März (täglich, außer am 24.12.) zu sehen. Es lohnt sich, ein Ticket für das ganze DAH zu kaufen: Das 2007 mit als „European Museum of the Year“ (der Museums-Oscar!) ausgezeichnete Haus erzählt die spannenden Geschichten von Auswandereren und Einwanderern auf höchst nachdrückliche Art und Weise. Verpassen Sie nicht den Australien-Film im museumseigenen „Roxy“-Kino. Er wurde extra zur Sonderausstellung in diesem Sommer gedreht und ist einfach fantastisch.
Text und Fotos: Dörte Behrmann
mit freundlicher Unterstützung des DAH
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