„Reisende und Fremde sind Geschenke Gottes“ heißt es. Mich hat interessiert, wie die deutsche Reisebranche derzeit auf die vielen unerwarteten Fremden reagiert, die gerade in unser Land kommen. Hier meine Momentaufnahme.
Mehr als eine Million Flüchtlinge erwartet SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel insgesamt in diesem Jahr – eine Herausforderung für unser Land. Beängstigend daher die Übergriffe und Aggression auf der rechten Seite. Verständlich dagegen die Fragen und zunehmenden Sorgen der Bürger. Umso begeisternder die spontanen und selbstlosen Hilfe von Ehrenamtlichen und Kompetenzträgern aller Facetten, sich um die Menschen zu kümmern, die flüchten mussten. Darunter immer wieder Touristiker. Mich hat interessiert: Was machen eigentlich die fünf wirtschaftlich stärksten Touristikunternehmen?
Im Ranking der größten deutschen Touristikunternehmen ist der TUI Konzern ganz vorne. Aber eher nicht in der Flüchtlingshilfe: Zwar ist das Touristikunternehmen schon seit einem Jahr auf Kos aktiv und unterstützt eine dortige Hilfsaktion für Flüchtlinge, die auf Kos gelandet sind. Allerdings nicht direkt: Die Gäste werden ermutigt, wie es heißt, Geld und Sachspenden abzugeben.
Die REWE Group, zu der die Veranstalter ITS, Jahn Reisen, Tjaereborg, Dertour, Meiers Weltreisen und ADAC-Reisen gehören, steht an zweiter Stelle im Ranking. Gefunden habe ich allerdings keine Hilfsaktivitäten. In einer Pressemeldung vom 17. September 2015 weist allerdings die Rewe Group darauf hin, dass sie die Erstversorgung der Flüchtlinge unterstützen wird: Nahrungsmitteln, Hygiene- und Drogerieartikeln, Winterjacken und Decken werden an das Deutsche Rote Kreuz (DRK) gespendet. Zugleich kündigte Vorstandsvorsitzender Alain Caparros Maßnahmen zur Integration von Flüchtlingen in das Berufsleben an – durch Praktika, Ausbildungs- und Jobangebote.
Ein neues Parkdeck wird gefeiert, afrikanische Spezialitäten auf Gran Canaria angepriesen und für Kinder geht es mit „Lollo und Bernie“ in die Herbstferien – die Thomas Cook AG, zu der die beiden Veranstalter Neckermann Reisen, Öger Tours gehören, schweigt sich auf seiner Website zum Thema Flüchtlinge aus. Dabei ist der Konzern durchaus hilfsbereit: Gespendet wurde für „Kinder in Not e.V.“ in Nepal und ein lokales Tierheim in Oberursel.
Sehr früh haben die alltours Mitarbeiter auf das Flüchtlingsdrama auf Kos reagiert und in der Düsseldorfer Zentrale eine Sammelaktion für Kleidung organisiert. Die wurde dann nach Griechenland ausgeflogen und auf Kos verteilt. Das war Ende August.
Dabei ist es nicht geblieben: Anfang September ging die Sammelaktion weiter und umfasste auch Nahrungsmittel. Beteiligt an der Hilfsaktion waren jetzt auch Air Berlin und Germanwings, die für einen kostenfreien Transport der Hilfsgüter sorgten.
Gähnende Leere im September-Pressebereich von FTI. Anders auf der Fanpage, da ist man sehr aktiv. Dort werden Last-Minute-Angebote und Hoteltipps angeboten. Kein Wort zur Flüchtlingssituation.
Unter dem Schlagwort #RefugeesWelcome ist die zentrale Networking Plattform der deutschen Reiseindustrie, der Travel Industry Club, am 7. September 2015 aktiv geworden und will mit dieser Anzeige ein „Zeichen in der Flüchtlingsthematik“ setzen Auch die Arbeit der UNO-Flüchtlingshilfe wird unterstützt. Allerdings fand ich keinen Hinweis darauf, was das konkret bedeutet.
Großes Thema war die Flüchtlingskrise gerade auf de fvw-Kongress, der am 15. und 16. September in Essen stattfand. Dort wurde am zweiten Tag von 12.15 bis 12.45 Uhr über die Folgen für die Touristikindustrie unter diesem Leitsatz diskutiert: Grenzkontrollen, unterbrochene Bahnverbindungen und Hilfesuchende auf Kos und Lesbos: Die Flüchtlingskrise hat die Touristik erreicht. Die Branche steht vor der Frage, wie sie mit der Situation umgehen soll. Es geht also um das „Was bedeutet das für uns?“ statt um „Wie können wir helfen?“. Hm. Die Antworten sind möglicherweise in der nächsten Ausgabe der fvw nachzulesen.
Die kurze Bestandsaufnahme zeigt – die Branche, in der viel Geld damit gemacht wird, deutsche Urlauber in die Fremde zu senden, hat nicht wirklich einen Bezug zur Herausforderung, wenn die Fremde zu uns kommt. Wie schade. Da geht noch mehr.
Erste Anmerkung: Verlinkt sind in diesem Beitrag jeweils die Fundstellen.
Zweite Anmerkung: „Reisende und Fremde sind Geschenke Gottes“ fand ich als Zitat in diesem Blogbeitrag über das Fremdsein, dessen Lektüre ich Dir gern ans Herz legen möchte. Die Situationen spielen in Asien, aber die Erlebnisse sind zutiefst menschlich und daher leicht übertragbar.
Dritte Anmerkung: Wenn Du als Hotelier oder Gastronom einen Flüchtling beschäftigen möchtest – und immerhin sind mehr als 19.000 Lehrstellen in diesem Jahr unbesetzt – dann informiere Dich bei der Bundesagentur für Arbeit. Erste Anregungen gibt eine Broschüre, die die BfA gerade mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge herausgegeben hat. Du kannst diese hier downloaden. Die Hotel-Direktoren-Vereinigung Deutschland ermutigt übrigens zu diesem Engagement.
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